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Hofbrauhaus Wolters – „Mehr Qualität statt Quantität“

Erstellt von Christian Göttner | Braunschweig | | Corporate Investments

Die deutsche Bierbranche hat mit vielen Herausforderungen zu kämpfen: Sinkender Konsum, demografischer Wandel und ein harter Verdrängungswettbewerb beschäftigen die Brauereien. Mittendrin stellt die Hofbrauhaus Wolters GmbH mit vielen Ideen – und einem kompakten Drei-Säulen-System – die Weichen für die Zukunft. Im Jahr 2027 soll das vierhundertjährige Jubiläum gefeiert werden. Francesco Perricone, bis zum 30. Juni 2023 Geschäftsführer, erklärt im Interview, wie das Traditionsunternehmen auch weiterhin wettbewerbsfähig bleiben kann.

Herr Perricone, die Nachfrage nach Bier ist 2022 wieder gestiegen, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Hat sich das bei der Hofbrauhaus Wolters GmbH positiv bemerkbar gemacht?

„Nein, leider nicht. Für uns bedeutet mehr Absatz nicht gleich mehr Deckungsbeitrag bzw. Erlös in der Kasse. Das ist den heutigen Umständen geschuldet: Die exorbitante Rohstoff- und Energiepreisentwicklung hat uns zum größten Teil die Marge weggefressen. Dazu kommen gestiegene Löhne und nicht vorhandene Lieferketten. Das heißt, wir bekommen wichtige Rohstoffe oder Materialien teilweise verspätet oder gar nicht geliefert – und das für einen enormen Preis. Eine Tonne Malz hat vor einem Jahr 280 Euro gekostet, heute sind wir in der Spitze bei 800 Euro. Das ist unser Hauptrohstoff. Zudem ist die Braubranche in allen Gewerken, die wir für unser Produkt benötigen, wie beispielsweise Zucker, Holz, Papier, Pappe, Etiketten, Glas oder Kronkorken, von diesen immensen Preissteigerungen betroffen. Teilweise bis zu 70 Prozent. Hinzu kommt die drastische Ver-Aktionierung internationaler Brauereien wie Anheuser-Busch InBev, aber auch nationaler deutscher Marken, die im Handel immer noch Preise für unter zehn Euro für einen Kasten Bier suggerieren. Teilweise sogar für nur sieben Euro für zehn Liter Bier. Das ist ein falsches Signal an den Verbraucher. Damit will man nur den Mittelstand schwächen.“

Zudem geht der jährliche Bierabsatz in Deutschland seit Längerem kontinuierlich zurück.Mit welchen Maßnahmen begegnen Sie all diesen schwierigen Herausforderungen?

„Das alles ist eine große Challenge für uns. Wir wissen eigentlich bereits seit mehr als zehn Jahren, das durch die demografische Entwicklung der Bierkonsum zurückgeht. Anfang der 90er Jahre waren wir, hinter den Tschechen, Vizeweltmeister mit einem Pro-Kopf-Bier-Konsum von 139 Litern. Jetzt liegt er bei etwas über 90. Damals wusste man schon wo die Reise hingeht. Das ist erstmal eine schlechte Nachricht, die aber dem Zeitgeist geschuldet ist. Die Menschen sind heute viel verantwortungsvoller im Umgang mit Alkohol und auch sportaffiner. Hinzu kommen neue Konkurrenzsituationen: Wir verlieren mittlerweile an die Spirituose, wie Shotgetränke und Longdrinks, aber auch an Wein und alkoholfreie Getränke. Das ist einer der Gründe warum wir, im Rahmen des Relaunches, die Wolters Fresh Linie auf den Weg gebracht haben. Weil wir damit rechtzeitig Verbraucher im jugendlichen Alter, ab 16 Jahre, abholen – und an unsere Stammmarke heranführen wollen. Die Marke Wolters Fresh ist mit Cola-Orange und einem Malzbier bewusst abgetrennt vom klassischen Bierbereich und wird Mitte 2023 mit zwei neuen, weiteren Geschmacksrichtungen in den Markt eingeführt werden. Momentan sind wir in den Tastings. Unsere Stammverwenderschaft müssen wir verjüngen und in den alkoholfreien Bereich mit Erfrischungsgetränken erweitern. Wir definieren uns auch nicht mehr als reine Brauerei, sondern als Getränkehersteller. Dennoch hatten wir im Jahr 2022 einen Ausstoß von rund 600.000 Hektolitern – das ist Vorjahresniveau.“

Hätte dieser Strategiewechsel nicht schon viel früher stattfinden müssen?

„Ja, unter unseren Vorgängern ist alles so geblieben, wie es vorher war. Man hat sich eben nicht weiterentwickelt. Das ist nun die Aufgabe von mir und meinem Geschäftsführer-Kollegen Herrn Arsene, der für Finanzen und Technik verantwortlich ist, die Arbeit der letzten 15 Jahre in einer Expressaktion aufzuarbeiten. Relaunch der Marke, Strategiewechsel im Portfolio, hinzukommen viele Dinge im technischen Bereich.“

Ein bekannter Kräuterlikörhersteller aus Wolfenbüttel musste Ende der 90er Jahre eine ähnliche radikale Neuausrichtung vollziehen, zusätzliche Zielgruppen erschließen und das Markenimage verändern – und war sehr erfolgreich.

„Jägermeister ist aber 20 Jahre weiter als wir. Wir haben gute Verbindungen zum Unternehmen, tauschen uns aus, so wie wir es mit Heimbs Kaffee auch machen. Wir sind mit allen im Kontakt, die im Getränkebereich eine starke Marke transportieren und in der Region ansässig sind. Wir versuchen von den Kollegen einige Sachen zu adaptieren, müssen aber unseren eigenen Weg beschreiten.“

Was halten Sie von Bier-Trends wie Hanf-Bier oder auch Whiskey mit Bier?

„Grundsätzlich halte ich diese Entwicklungen für die Branche wichtig und gut. Auch die gesamte Craft-Beer-Szene sorgt für eine Aufwertung der Warengruppe Bier. Solche Themen sind für eine mittelständische Großbrauerei wie uns jedoch ein Nischenmarkt. Der ist nicht relevant. Das sind Kleinstmengen, für die der technische Aufwand bei uns zu groß wäre. Sie hätten keinen Impact auf unsere strategische Ausrichtung. Wir sind eher dabei Artikel, die nicht gut laufen – und den Abfüllprozessaufhalten – zu streichen. Decomplexity lautet der Fachbegriff.“

Wie sieht Ihre Strategie für die nächsten Jahre aus?

„Die Marktlage sieht so aus: Das Vertriebsgebiet der Hofbrauhaus Wolters GmbH ist bis zu 85 Prozent deckungsgleich mit dem Volksbank BraWo Land – und damit limitiert. Wir müssen unsere Marktanteile in diesem Gebiet holen, wollen gar kein überregionaler Player sein. Weil wir auch gar nicht die finanziellen Mittel dafür hätten. Wir müssten so viel Marketingausgaben in die Marke investieren und würden dabei unseren Kernmarkt vernachlässigen. Das macht keinen Sinn. Also halten, Heritage, Herkunft, ist deshalb das Stichwort für uns. Die Herausforderung für uns ist: Alle nationalen und internationalen Brauereien kommen natürlich trotzdem mit ihren Produkten nach Braunschweig. Und das nicht nur, weil es eine schöne Stadt ist, sondern weil es ein attraktiver Markt ist. In der Region gibt es ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, den Menschen geht es Verhältnismäßig gut, im Vergleich zu anderen Landstrichen. Das heißt: Wir sind immer in der Abwehrhaltung. Unsere Strategie ist eine genaue Positionierung mit einer Aufteilung in Channel. Im Handel, also in Supermärkten und Getränkeabholmärkten, an Kiosken und Tankstellen, müssen wir unser Portfolio so ausweiten, das der Wettbewerber den Kampf am Regal verliert. Und der Platz gar nicht da ist, dass er seine Produkte da reinstellt.“

Jedes neue Produkt, dass sie ins Regal bringen, sorgt also für überlebensnotwendige Verdrängung.

„Ja, deshalb stellen wir einen Cola-Orange-Mix, der eigentlich ein Spezi ist, aber nicht so genannt werden darf, weil es eine Markenbezeichnung ist, her. Deshalb produzieren wir auch frische, saisonale Erzeugnisse wie ein Sommer-Bier, ein Herbst-Bier, ein Winter Stout oder ein Wolters Helles, dass gerade absolut im Trend liegt. Wenn sich der Verbraucher im Handel eine Kiste Wolters-Bier kauft, macht er meist auch Impulskäufe. Bestmöglich greift er dann zu unseren anderen Produkten, die er im Regal sieht, anstatt zu denen vom Mitbewerber. Wir sorgen im Regal für Distributionsausweitung – und werden immer wieder mit neuen, innovativen Getränken auf den Markt kommen. Das alles abgerundet mit verkaufsfördernden Aktionen am Point Of Sale.“

Wie ist die Situation in der Gastronomie?

„Im Gastronomie-Bereich wird Emotion transportiert: Schmecken, fühlen und anfassen. Hier wollen wir nicht nur in den klassischen, traditionellen Kneipen und Landgasthöfen vorhanden sein, sondern wollen auch in jüngere Gastronomietypen, wie beispielweise Bars, Brasserien oder Fusion-Food-Restaurants. Dafür haben wir auch unseren Markenauftritt verändern müssen. Mit der alten Ausstattung hätten wir dort keine Chance mehr. Ein weiterer Baustein unserer Strategie ist der Bereich Feste und Veranstaltungen. Wolters will da sein, wo der Verbraucher seine Freizeit verbringt. Beim Sport, auf Konzerten, beim Magnifest oder Weihnachtsmarkt. Überall dort, wo der Besucher emotional mit uns in Berührung kommt. Unser bestes Argument gegen schwindelerregend konzipierte Marketingetats unserer Wettbewerber, von bis zu 50 Millionen Euro, ist unser Produkt. Und das ist richtig gut. Das wird uns jeden Tag bestätigt. Unsere Flaschenabfüllanlage, die wir vor eineinhalb Jahren in Betrieb genommen haben, dringend notwendig war und 2,5 Millionen Euro gekostet hat, läuft jedenfalls auf Volllast.“

Sie kämpfen nicht nur für den regionalen Markt, sondern arbeiten auch noch als Lohnbrauerei und exportieren Ihre Produkte ins Ausland. Wie läuft es in den letztgenannten Bereichen für Wolters?

„Wir haben bei Wolters ein Drei-Säulen-System: Die erste Säule ist, wie eben erwähnt, das Inlandsgeschäft, unser Brot- und Butter-Geschäft, an dem wir am meisten verdienen. Die zweite Säule ist das Lohnbraugeschäft, auch Co-Packing genannt. Da kümmern wir uns um Fremdmarken für andere, die keine Brauerei haben oder in einem Markt aktiv sein wollen. Wir sind dabei kein Markenhalter, sondern nur Hersteller. Wir stellen das Bier,  her und füllen es in die entsprechende Verpackung, die uns der Kunde vorgibt. Das ist eine reine Produktions- und Logistikdienstleistung.
Die dritte Säule ist das Exportgeschäft, bei dem wir unsere eigene Wolters-Marke ins Ausland verkaufen. Unsere stärkste Marke ist dort aber nicht Wolters, sondern Brunonia, eine Premium-Lager und Schwarzbiervariante, benannt nach Braunschweigs Schutzpatronin. Wir haben dazu noch einige andere B- und C-Marken, die wir im Ausland vermarkten. Unser Absatz im Export-Geschäft läuft sehr gut, die Margen sind teilweise befriedigend. Auch dort werden wir eine Preisanpassung durchsetzen und genau analysieren welche Kunden uns Benefit bringen. Vorher wurde bei Wolters nur in Volumen gedacht, aber nie in Erlös. Das muss sich ändern. Das Exportgeschäft wird aber immer ein Bestandteil von uns bleiben, denn wir benötigen es nicht nur um Markenbildung zu betreiben, sondern auch um unsere Anlagen auszulasten. Es ist aber schwierig in Märkten wie China oder Südamerika die Preisanpassung, die wir benötigen, durchzusetzen. Mit einem chinesischen Kunden über Preise zu verhandeln ist fast unmöglich.“

Sie exportierten Wolters Bier und Malztrunk auch nach Albanien, Brasilien und in die USA. Welche Länder wären noch interessant für das Exportgeschäft?

„Wir haben eigentlich zu viele Märkte, auf denen wir unterwegs sind. Wir verkaufen in viele weit entfernte Länder, bedienen aber Italien und Frankreich, zwei der größten und nächsten deutschen Biermärkte, überhaupt nicht. Wir wollen zukünftig verstärkt Märkte, die vor der Haustür liegen, erschließen und bedienen. Die Probleme entwickeln sich ja nicht, wenn man einen Schiffscontainer mit Bier belädt und in die Ferne schickt, sondern wenn man eine Reklamation bekommt. Durch Rücklaufkosten, Zollbehörden und Steuern, die verauslagt wurden, entstehen so hohe Kostenblöcke, dass der gesamte Erlös damit kaputt gemacht wird. Kurz gesagt lautet unser Ziel im Export: Mehr Qualität statt Quantität.“

Inwieweit spielt dabei auch das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle?

„Wir haben uns der Nachhaltigkeit verschrieben, haben verschiedene Projekte am Laufen. Überall, wo es möglich ist, setzen wir etwas um. Das schließt Abfallwirtschaft und CO2-Reduzierung ebenso mit ein, wie ein umsichtiger Energie- und Wasserverbrauch. Wir bekommen jetzt einen neuen Kurzzeiterhitzer, sind ständig dabei zu optimieren und zu erneuern, auch im technischen Bereich. Es ist für uns aber nicht möglich, wie unsere Mitbewerber, große Investitionen zu tätigen. Wir agieren da sehr reaktiv.“

Wie weit sind Sie mit den Plänen für die Wolters-Erlebnis-Welt?

„Bei dem Projekt geht es darum, die Brauerei erlebbar zu machen. Der zentrale Bestandteil wird ein klassischer Biergarten sein, in dem Veranstaltungen stattfinden werden. Im Grunde genommen ein Applaus Garten 2.2. Die Maßnahmen, die darum platziert werden, kann und darf ich noch nicht verraten, da sie noch im Genehmigungs- bzw. Feststellungsverfahren sind. Es soll aber ein Begegnungspunkt, zu dem ein moderner Fanshop und eine klassische Brauereigastronomie gehören, werden. Unser Ziel ist pünktlich zum 400-jährigen Bestehen des Hofbrauhaus Wolters im Jahr 2027 werden wir fertig zu sein.“


Hinweis: Francesco Perricone schied zum 30. Juni 2023 aus dem Unternehmen aus.

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Wolters-Geschäftsführer Francesco Perricone
Bierflaschen von Wolters in der Abfüllanlage. Fotos: Hofbrauhaus Wolters